Itinera Magica

Weihnachten und die deutsche Kochwut

Weihnachten rückt näher heran. Die Playlists der Radiosender sind so süßlich, dass man vom Zuhören fast Diabetes kriegt, die Stromrechnungen werden in die Höhe getrieben, Deutschland schimmert, blinzelt… und riecht so gut. Denn in der Weihnachtszeit wird Deutschland von einer aufrichtigen Kochwut befallen. Oder richtiger gesagt, Backwut.

Deutsche Kochwut, Beleg Nummer 1. Hat mein Mann alles gemacht, ich kann nichts dafür.

Ich verbringe diese Adventszeit in München, zusammen mit meinem hausgebackenen Frankenmann. Mein Mann gehört zu der Art von Deutschen, die den Stereotypen der Franzosen punktgenau entsprechen. Er ist groß und stark, hebt Gewichte, die schwerer sind als ich, und grollt dabei wie ein zorniger Elch, er fährt Fahrrad und findet es unterhaltsam, Berge hoch zu strampeln, die anderen Herzinfarkte bereiten würden. Er hat Physik studiert, versteht französischen Humor nicht, hat einen furchtbaren Geschmack an Schuhen, was eine angeborene deutsche Eigenschaft zu sein scheint, so wie auch die Affinität zu einem erschöpfenden Klangbrei, der Metalcore heißen soll. Und dazu ist er blond wie der zarte Weizen im frühen Sommer, mit Augen so blau wie die bayerischen Seen, worauf Schwäne ihre unbefleckten Flügel ausstrecken. Purer Deutschland-Nektar aus Konzentrat. Er könnte in einer Oper von Wagner den Siegfried oder den Lohengrin spielen. Franzosen, die ihn nicht kennen, würden meinen, er sei ein rauer Macho – sie wissen eigentlich nicht, dass deutsche Männer in der Regel Gentlemen sind, Gummibärchen in der Verkleidung eines Grislibären. Ich muss ehrlich gestehen, dass er häufiger die Wohnung putzt und aufräumt, als ich.

Stolzer Frankenmann in Island beim Wikingerdorf.

 

Am Viktualienmarkt, Höhepunkt der Münchner Geselligkeit

Und doch überrascht es mich immer wieder, welche Verwandlung ihn in der Weihnachtszeit befällt. Plötzlich sagt er, er müsse zu seiner Mama. Und zwar drei Tage lang. Wozu? Um zu backen. Das erste Mal wollte ich es nicht glauben. Er will mich doch nur verarschen, er hat irgendeine Maitresse in Franken. Drei Tage lang? Backen? Mit seiner Mutter und seinen Brüdern? Der Typ, der Schlagzeug so spielt, als hätte man ihn in den Hulk verwandelt, der im Schließfach des Fitnessstudios praktisch seine 2. Wohnung ausgerichtet hat, und kaum Komplimente macht, denn „nicht gemotzt ist genug gelobt“? Ich war höchst misstrauisch.
Aber dann kam er wieder. Mit deckenhohen Stapeln von Metallboxen, die mit Herzen oder Sternen verziert waren, und überfüllt von Plätzchen aller Art. Zimtsterne (“es sind Nusssterne, keine Zimtsterne”, meint Herr Chefkoch entrüstet), Schokosterne, Schokoschweine (immerhin kommt er aus der Gegend von Schweinfurt), Vanillehörnchen, und lauter Tannenbäume, Katzen, Pilze, Elefanten, alles so überdeckt von Glitzern, als hätte sich eine betrunkene Waldfee nach einer Überdosis an Glühwein darauf übergeben müssen. So wie ich es verstanden habe, soll es ewig dauern, sie zuzubereiten. Teig machen, rollen, formen, backen, dekorieren… und das bei 10 verschiedenen Sorten, oder sogar mehr. Mir wurde angeboten, mitzumachen. Aber ich kann das nicht. Nicht, dass ihr glaubt, ich würde mich zum Titel der schlechtesten Hausfrau des Jahres bewerben – ich koche schon gerne. Aber schnell. Ich bin die Königin der Rezepte, die gut & gesund sind und in weniger als 30 Minuten inklusive Abwasch erledigt sind. (Mein Mann spielt gerne Blinde Kuh mit meinen Kochkünsten, wenn ich dran bin und er nach Hause kommt. „Lass mich raten, Zucchini und gegrillte Pilze, so wie vorgestern und letzte Woche auch?“) Aber drei Tage backen, ich glaube ich stecke mir den Stabmixer in den Hals. Die Plätzchen esse ich aber gerne. Typisch französisch, heißt es – alles Heuchler!

Deutsche Kochwut, Beleg Nummer 2

Aber die Dezemberfresssucht endet nicht bei den niedlichen Keksen in allen psychedelischen und bunten Formen, die der glutenreichen Verkörperung einer LSD-Halluzination ähneln. Dann kommen noch die Weihnachtsmärkte. Ich brauche nicht aufzählen, was man dort alles essen kann, ihr wisst das schon, ihr glückliches Volk von Deutschland und Österreich. Nur eine germanische Himmelsgabe möchte ich betonen. Die heiligen, entzückenden Schokoerdbeeren. Für mich sind die der Inbegriff des Paradieses. Sie verbinden alles, was ich liebe. Schokolade. Meine Leidenschaft, meine Sünde, mein Erzfeind, meine Versuchung. Ich kann allem widerstehen, Pommes, Käse, Sahnekuchen, interessiert mich alles nicht, aber gib mir Schokolade, und ich zerstöre fünf Tage gesunden Essens in fünf Minuten. Die Adventszeit ist mir eine besonders harte Zumutung. Wäre ich ein Pokemon, lägen meine Defensivwerte bei 0. Eine Schokoattacke, und ich erliege. Und Erdbeeren! Erdbeeren sind mein anderer Esswahn, meine kleine rote pflanzliche Hysterie. Angeblich sind sie super gesund, einmal habe ich aber 4 Kilo Erdbeeren in einer Sitzung gegessen und mir ging es nicht sonderlich toll, you CAN have too much of a good thing. (Es hat mich nicht davon abgehalten, zwei Tage danach weiter zu machen.) Allerdings sind sie weniger anrüchig als Schokolade. Aber beides zusammen! So hat man das Gefühl, man könne so viel davon essen, wie man will, sind ja Erdbeeren, als würden sie ihre akzeptablen Nährwerte auf ihren Schokokumpel übertragen und ihn wie durch Wunder von der Sünde erlösen. Ernährungssühne durch Erdbeeren. Es macht mich regelrecht verrück.

Schokoerdbeere! Himmel!

 

Selbst die Häuser erinnern mich an Gebäckstücke. Innsbruck, bunte Fassaden

 

Kandierte Äpfel

Und wisst ihr was? Ich glaube, ich habe mich genau wegen der Schokoerdbeeren dazu entschieden, diese Weihnachtszeit in München zu verbringen. Vier Weihnachtsmärkte habe ich schon besucht (München, Nürnberg, Innsbruck, Brüssels), drei stehen noch auf meiner Liste (Regensburg, Salzburg, Kufstein). Schokoerdbeeren werden eifrig gepflückt, und fränkische Plätzchen verzehrt. Ich freue mich schon. Guten Appetit und frohe Weihnacht, liebe Nation der Nudelhölzer!

München, du schöne Stadt

Dieser Artikel ist Teil meiner neuen Serie “Deutschland aus der Sicht einer Provenzalin“. Es kommen weitere Beiträge zu den Eigenarten des deutschen Volkes, aus der Sicht einer Französin in Bayern. Und es kommen auch Insidertipps zu meiner Heimat, Provence. Einen Kommentar hinterlassen und Newsletter abonnieren? Würde mich fast so sehr freuen, wie eine Schokoerdbeere.

Bayern kann man nur lieben.

was Franzosen von Deutschen halten – wie eine Französin Deutschland sieht – Frankreich Deutschland – Madame France Allemagne – deutsche Eigentümlichkeiten – Deutsche und Franzosen Unterschiede -Reiseblog einer Provenzalin – Blog einer Französin in Deutschland- typisch Deutsch – Deutsche Bräuche- une française en allemagne – blog d’une française en Allemagne

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